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Klaus Brinkbäumer / Thomas Schulz „Der Philosoph des 21. Jahrhunderts

Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.

Der Philosoph des 21. Jahrhunderts

Es gibt weltweit wohl keine zweite Firma, die so lässig und gleichzeitig so mächtig ist wie der Unterhaltungskonzern Apple. Dessen Gründer und Chef Steve Jobs, despotisch und mehrmals schwer erkrankt, bestimmt nicht mehr nur, was wir kaufen – er will bestimmen, wie wir leben.


Von Klaus Brinkbäumer und Thomas Schulz, Spiegel, 26.04.2010


Es war heiß, kein Schatten im Stadion von Stanford, die Studenten hatten gesoffen, sie grinsten und kicherten, und darum dauerte es, bis sie verstanden, dass dort vorn ein Herrscher der westlichen Welt zum Geständnis schritt.

Seine Produkte, zu erkennen am angebissenen Apfel, sind Produkte, die die Menschheit verlangt, weil die Menschheit offenbar glaubt, dass diese Produkte das moderne Leben erleichtern, mehr noch: dass modernes Leben aus dem Besitz dieser Produkte besteht. Der Herrscher aber redet nicht über sich, normalerweise.

Er sei schüchtern, sagen manche, die ihn gut kennen. Er sagt nur dann etwas, gütig lächelnd, wenn er etwas zu verkaufen hat, ein neues Telefon (iPhone), ein flaches Wunderding (iPad) oder eine neue Werbeplattform (iAd), oder wenn er, wie vergangene Woche, einen neuen Rekordgewinn verkünden will: 3,07 Milliarden Dollar im jüngsten Quartal, 90 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Ansonsten schweigt er, und er fordert Schweigen von allen, die er in seine Nähe lässt, und es lässt sich nicht sagen, warum er an jenem Juni-Tag von Stanford gestand, was ihn treibt, was er fürchtet, was er denkt, nur dort, dieses Mal und nie wieder.

Drei Geschichten wolle er erzählen, nicht mehr, „no big deal“, sagte Steven P. Jobs, Bart- und Brillenträger, die Stirn hoch, er trug eine schwarze Robe, ein dünner Mann schon damals, vor der Transplantation. Er zitterte ein wenig, hob die Stimme, atmete schnell.

Drei Geschichten, keine große Sache.

Die erste Geschichte solle vom Verbinden der Punkte handeln, sagte Jobs und erzählte, wie seine Mutter ihn aufgab, wie er adoptiert wurde, wie er sein Studium abbrach, wie er meilenweit für eine Suppe gehen musste, bis er einen Freund fand und eine Idee hatte. Die Punkte eines Lebens, sagte Jobs, seien immer erst im Rückblick zu verbinden, wir müssten vertrauen. Wir alle. Darauf, dass die Punkte sich zu einem Bild fügen werden, irgendwann, auf unseren Instinkt, das Schicksal.

Steve Jobs wippte nun nicht mehr auf und ab. Und die Studenten von Stanford blickten zur Bühne und hörten zu.

Die zweite Geschichte handelte von Liebe und Verlust. Steve Jobs sagte, dass er als 20-Jähriger gefunden habe, was er liebe, Apple, sein Lebenswerk, und dass er als 30-Jähriger entlassen wurde, doch weitermachte in der Computer-Welt, weil er sie liebte. „Manchmal trifft euch das Leben mit einem Stein“, sagte er den Studenten, „verliert euren Glauben nicht. Die einzige Weise, wie ihr eine großartige Leistung vollbringen könnt, ist, dass ihr liebt, was ihr tut.“

War das Poesie? Ethik gar? Küchenpsychologie? Und die dritte Geschichte? Die dritte Geschichte handelt von Leben und Tod, dazu später mehr.

Es gibt eine Menge Begriffe, mit denen Steve Jobs umschrieben wird, „Guru“, „Genie“, „Messias“, solche Begriffe, auch „Diktator“ und „Menschenschinder“.

Denn Steve Jobs gilt als diabolisch, als Soziopath, und er hat diesen Ruf zu Recht, das wird schnell klar, wenn man seine Welt betritt; Apple, einst Computer-Firma und heute Weltmacht der Unterhaltungselektronik, ist ein Unternehmen, das stark ist wie wenige andere und zugleich Schwächen hat, die angesichts seiner Stärke bizarr sind.

Dieser Steve Jobs hat eine Marke erschaffen und entwickelt, die zugleich cool und Mainstream ist, das ist der Traum aller Werber. Apple beherrscht den weltweiten Online-Musikmarkt, und den für Abspielgeräte und den für Hightech-Telefone erobert Apple gerade: 8,75 Millionen iPhones verkaufte Apple im letzten Quartal. Das iPad, zwischen Telefon und Laptop angesiedelt, wurde in den USA hysterisch begrüßt und wird in Europa hysterisch erwartet, da es Medien- und Buchmarkt im Sturm nehmen könnte; es hat einen Touchscreen, weshalb die Nutzer mit archaischen Bewegungen, Fingerdruck und Fingerkreisen, die vielleicht raffinierteste Technologie des Computer-Zeitalters steuern werden.

Apple, scheinbar lässige Massenmarke, ist wahrscheinlich das einzige Unternehmen der Welt, das seit Jahrzehnten eine fanatische Anhängerschaft hat, nicht ein paar Verrückte, sondern Millionen von Menschen, für die Apple eine Haltung ist. Das „New York Magazine“ hob Jobs mit der Zeile „iGod“ auf den Titel. Und als Apple das iPad ankündigte, zeigte der „Economist“ Jobs als Jesus-Ikone. Ironisch? Ein wenig. Scheindistanz.

Der ganze Wahnwitz hat viel mit Design zu tun. Apple-Produkte sind karg, schlicht, sie sind kompromisslos.

Es hat mit Mut zu tun. So groß, so maßlos wie Apple denken wenige Firmen, und vermutlich hat keine andere die eigenen Prinzipien derart oft und derart rundweg erneuert.

Jobs betritt gern Arenen, in denen ungeschlagene Gegner zu Hause sind, und hin und wieder erfindet er eine Branche, um sie im selben Moment zu monopolisieren.

Nun bringt Apple das iPad auch in Deutschland auf den Markt, einen knapp DIN-A4-großen, fingerdicken Computer in Form eines Tabletts. Seit über einem Jahrzehnt versuchen Apples Konkurrenten so einen Computer zu etablieren, sie alle sind gescheitert. Aber natürlich ist das iPad schick und cool und schnell, es ist der bekannte Ansatz: eine vorhandene Idee zu nehmen und sie so zu verpacken, dass Massen sie kaufen.

Manche sagen, es sei ein gedoptes iPhone, bloß größer, damit man Bücher, Magazine, Zeitungen darauf lesen kann, Filme sehen, im Internet surfen.

Andere sagen, es sei eben deswegen das elektronische Gerät für die Zukunft, das Ding, das jeder haben will.

Es ist ein Fühlgerät. Es schmiegt sich an, ein Kuschelcomputer, kein Knopf zu viel. Es ist ein Fenster in die Welt der Medien, ein Fenster, mit dem wir reisen können, ein Fenster, das wir mit ins Bett nehmen wollen, auf die Couch, ein Buch zum Einschalten, und es verzaubert die Kunden: Auf Flughäfen, bei Sicherheitskontrollen, war in den vergangenen Wochen ein Star, wer ein iPad auspackte.

Das Ding hat Schwächen: Weil Steve Jobs das Programm Flash nicht mag, werden viele Web-Seiten zur Hälfte geladen, Flash-Filme bleiben leere Flächen. Und wer dicke Finger hat, vertippt sich leicht. Und bei Sonnenlicht sieht man nicht viel. Das iPad ist ein passiver Computer, dessen Sinn es ist zu konsumieren.

Das alles hat viel mit unserer Zeit zu tun und der Art, wie wir leben wollen. Ein iMac im Büro, ein MacBook für unterwegs, einen iPod zum Joggen, ein iPad für die Bildung und ein iPhone für die Verbindung zu all den anderen ewig Jugendlichen: So will sich der Mensch des 21. Jahrhunderts offenbar sehen, so will er gesehen werden, und in New York, Tokio, London, Berlin oder Hamburg lebt er längst so. Das macht Steve Jobs, 55, zum Philosophen des 21. Jahrhunderts.

Denn Jobs, Verführer in schwarzem Rolli und blauen Jeans, mit hoher Stirn, Bart und Nickelbrille, ist der Mann, der bestimmt, wie wir leben wollen: Er legt fest, was wir haben können, und redet uns ein, dass es das sei, was wir haben möchten. Er hat das Kaufverhalten von Massen verändert und damit Lebensweisen, also Kultur. Aus dem Erfolg seiner Firma leitet er Ideologien ab und das Recht, Inhalte zu zensieren, die auf seine Computer gespielt werden. Ist Apple dabei, die einflussreichste Firma der Welt zu werden? Die iMächtigen?

Wer Apple verstehen will, muss diesen Jobs verstehen – Apple ist sein Lebenswerk, die Firma funktioniert, wie er sie haben will.

Es ist nicht ganz einfach, sich Jobs zu nähern, weil Apple so gut wie nie mit Reportern spricht, falls diese nicht zuerst Apples Produkte gelobt haben. Der deutsche Firmensprecher Georg Albrecht schrieb: Apple „gibt leider keine Einblicke in sein Innenleben … So gerne ich so eine Story unterstützen würde, weiß ich, dass wir hier Ihnen keine Gesprächspartner anbieten können“. Wenig später fielen die Antworten der Amerikaner ähnlich aus: kein Kommentar, zu gar nichts.

Aber es gibt Leute, die Apple verlassen haben, darunter jene, die Jobs dankbar sind, weil sie an seiner Seite reich wurden, und andere, die ihn hassen und wirken, als seien sie traumatisiert. Und auch Leute, die heute für Apple arbeiten, reden über Apple, wenngleich unter falschem Namen, denn Jobs ist kein netter Mensch.

Es gibt nur Sieger und Versager für ihn, genial oder dumm, er hasst Fleischesser, und Produkte sind entweder „wahnsinnig großartig“ oder „Scheiße“. Angestellte können heute Genies sein und morgen „bozos“, Volltrottel, heute unverzichtbar und morgen gefeuert. Die „Helden-Arschloch-Achterbahn“ nennen Apple-Leute das Herrschaftsprinzip des Steve Jobs: „the hero-shithead roller coaster“.

Die Apple-Story, die eine Jobs-Story ist, lässt sich in sechs Kapiteln beschreiben, erzählt von sechs Zeitzeugen, von denen jeder seine Zeit hat, von den Anfängen einer Klitsche bis in die Zukunft einer der mächtigsten Firmen der Welt.

I. Der Gründer

Die Apple-Geschichte beginnt, wie könnte es anders sein, in einer Garage in Los Altos, südlich von San Francisco. Es ist die Garage der Familie Jobs, es ist 1976, und Jobs schraubt mit seinem Freund Steve Wozniak an einem Computer-Prototypen herum.

Zwei Jünglinge in T-Shirts und abgeschnittenen Jeans. Unkalifornisch bleich. Jobs hat schulterlange Haare, links gescheitelt, braune Augen, dünne Arme. Sie reden nicht viel, nicht über Mädchen oder Sport, wenn sie reden, reden sie über Musik oder ihre Idee.

Kennengelernt haben sie sich fünf Jahre zuvor, sie sind beide Elektronik-Fans, Studienabbrecher, Außenseiter. „Nerds“ wird man Typen wie sie später nennen, vielleicht sind die zwei aus der Garage die ersten Nerds. Sie hören zusammen die Beatles und Dylan, bauen illegale Geräte für kostenlose Telefonate, und

sie entwickeln Videospiele. Eines heißt „Breakout“, es wird einer der ersten Erfolge einer der neuen Firmen der neuen Zeit: Atari. Und sie träumen von Größerem, einem Computer für jedermann, einer Maschine, die sich jeder leisten kann.

Es gibt zwei Variationen ihres Traums. Wozniak träumt davon, diese Maschine zu bauen, Jobs will sie verkaufen.

Damals sind Computer vor allem etwas für reiche Unternehmen und die CIA, riesige Maschinen, die 100 000 Dollar kosten, mindestens. Wozniak aber hat mit 13 Jahren an seinem ersten Computer gebastelt, er weiß, dass er Talent hat, ein Gespür für Technik, er versteht, wie Schaltkreise funktionieren, und er hat keine Ahnung davon, wie revolutionär sein Talent sein wird. Zum ersten Mal war dieses Talent schon an einem Sonntagabend im Juni 1975 revolutionär, als er zwei Kabel nahm und einen seiner Prototypen mit einem Bildschirm und einer Tastatur verband.

Ich habe nicht realisiert, wie bedeutend das war“, sagt Wozniak. Er lacht. „Es war das erste Mal, dass jemand einen Buchstaben auf einer Tastatur tippte und den Buchstaben im selben Moment vor sich auf seinem Computer-Monitor sah“, schreibt er in seiner Autobiografie.

Im Frühjahr 1976 zeigt der eine Steve (Wozniak) dem anderen Steve (Jobs) den Bauplan für einen Personal Computer, kaum größer als eine Schreibmaschine, für wenig Geld zu bauen und für viel mehr Geld zu verkaufen. Jobs klatscht Wozniak ab, rechnet, und wenn Wozniaks Erinnerungen stimmen, dann sieht Steve Jobs in diesem Moment vor sich, was möglich ist. Es ist der Moment der Geburt von Apple. Jobs verkauft seinen VW-Bus für 1500 Dollar, um Bauteile für den neuen Computer kaufen zu können. Dann überredet er Wozniak, seine Stelle bei Hewlett-Packard aufzugeben.

Der Apple I ist nicht viel mehr als eine Holzbox mit einer Platine und einigen Dutzend Chips, es ist der erste Schritt in eine andere Welt, und Jobs erkennt es. „Steve hat nicht einen Schaltkreis gebaut und keine Zeile eines Codes geschrieben“, sagt Wozniak, „aber ich wäre niemals auf die Idee gekommen, Computer zu verkaufen, das war Steves Wirken.“

Am 1. April 1976 gründen die beiden Freunde die Firma Apple Computer. Jobs ist 21 Jahre alt, Wozniak 25. Es gibt zwei Geschichten dazu, wie der Name entsteht: Möglich, dass Jobs den Namen bei den Beatles klaut, deren Platten bei Apple Records erscheinen; möglich, dass der Name dem Genialen unter einem Apfelbaum einfällt, jedenfalls kommt Jobs von jener Farm in Oregon zurück, wo er gern aushilft, und schlägt dem Kumpel „Apple Computer“ vor. Jobs hört die zweite Geschichte lieber, sie ist sehr romantisch, doch Wozniak sagt, er habe Jobs nie gefragt.

Es kommen, damals, die Wochen ohne Schlaf, es geht darum, den Apple I massenmarktfähig zu machen. Wozniak kümmert sich um die Technik, Jobs stellt Mitarbeiter ein, sparsam, es müsse immer mehr Arbeit geben als Mitarbeiter, sagt er. Er treibt einen Investor auf und organisiert den Vertrieb für ein Produkt, für das es noch keinen Markt gibt.

Im Juni 1977 kommt der Apple II auf den Markt. Preis: 1298 Dollar, Tastatur inklusive, Monitor exklusive. Es ist der erste Bürger-Computer und eine Weltsensation, die über zwei Millionen Mal verkauft wird. Ein Anfang – und noch lange kein Ende. Denn Wozniak produziert seine Erfindungen nun in Serie, er entwirft eine erschwingliche Floppy Disc, die Farbgrafik, und Jobs macht weiter mit dem Verkauf der Revolution. 1980 geht Apple an die Börse, Wozniak und Jobs sind Multimillionäre und Popstars.

Es ist das Unternehmen „von zwei besten Freunden, die sich so ähnlich waren in ihrem Denken über Philosophie, die Zukunft, die Gegenkulturbewegung“, so sagt es Wozniak im Januar 2010. Er sieht immer noch aus wie damals in den Gründerjahren, Haare und Vollbart zottelig, der Körper füllig, und immer noch spricht er mit Hingabe über Apple.

Alles, was wir machten, verwandelte sich in Gold, es gab ja nichts, alles wurde das erste Mal in die Welt gebracht“, sagt Wozniak. Aber er verlässt Apple 1985. „Steve sah es als die Zukunft einer Firma, ich sah es als mein ganzes Leben“, sagt er, „ich wollte nicht mehr im Rampenlicht stehen.“ Will er nicht so werden wie Jobs? Solche Fragen mag er nicht, er ist ein höflicher Mann.

In den Jahren danach organisiert Wozniak Rockkonzerte, stattet Schulen mit Computern aus, immer wieder mal gründet er ein Unternehmen, nichts Weltbewegendes. Fehlt ihm das Diabolische? Die Gnadenlosigkeit? Fehlt ihm die schlechtere Hälfte?

Steve & Steve sehen sich selten. Zum ersten Riss kam es schon 1984, denn damals erfuhr Wozniak, dass Jobs einst angeblich 5000 Dollar für das erste gemeinsame Projekt erhalten hatte, das Atari-Spiel; Jobs hatte ihm erzählt, es seien 700 Dollar, und diese 700 hatten die besten Freunde geteilt.

War es Betrug? Verrat?

Was soll es sonst gewesen sein? Ein Rechenfehler?

Wozniak fühlt sich 25 Jahre später weniger Jobs, aber Apple verbunden, er wird noch als Mitarbeiter geführt, er wohnt in Los Gatos im Silicon Valley. „Steve arbeitet genauso wie damals“, sagt er, „er schaut sich eine existierende Technologie an und fragt, was die Menschen am Ende wollen – und wie Apple den kürzesten Weg dorthin bereiten kann.“

II. Der Zauberer

In einer Welt der hochauflösenden Oberflächen und sinnlichen Touchscreens vergisst man leicht, wie ein PC Anfang der achtziger Jahre aussah. Es gab grüne Schrift auf schwarzem Grund, Befehle wurden per Tastatur eingegeben. Es war etwas für Technik-Fans und nur für die.

1979 hatte Apple begonnen, an einem neuen Computer zu arbeiten. Steve Jobs übernahm bald die Führung der Entwicklungsabteilung, er wünschte etwas nie Dagewesenes. Der Mac sollte so sein, wie seine Entwickler die Welt sahen. „Wir verachteten Hierarchien und Strukturen“, sagt Andy Hertzfeld. „In den siebziger Jahren waren Computer Instrumente der Autorität gewesen, wir wollten aus dem Computer ein Instrument der Befreiung machen, zugänglich für jeden.“

Hertzfeld ist einer der Entwickler des Mac, er kam 1979 als einer der ersten Angestellten zu Apple; auf seiner Visitenkarte stand „Software-Zauberer“. Hertzfeld mag die Firma, er weiß, es waren die besten Jahre seines Lebens. Was für ein Trip. Er weiß auch, dass es da noch andere Seiten gibt.

Er ist extrem rachsüchtig.“ Das sagt Hertzfeld über Jobs. „Alle haben Angst vor Steve, insbesondere die Angestellten. Wenn ich Steve in einem Wort beschreiben müsste: Das Wort wäre ,kontrollierend‘“, sagt Hertzfeld, „und seine Weltsicht ist, dass seine Regeln für alle gelten außer für ihn.“

Andy Hertzfeld lebt nicht wie ein Revolutionär, er hat ein großes Haus in einer ruhigen, von Bäumen überwucherten Straße in Palo Alto, er ist klein und untersetzt, er trägt ein schlabbriges T-Shirt und Shorts. „Wir wollten die Welt verändern“, sagt Hertzfeld. Die Geburt des Mac war nicht einfach der Start einer neuen Produktreihe, es sei „wie ein Orgasmus“ gewesen. Der Mac war der erste Massen-PC mit einer grafischen Oberfläche, mit Symbolen, mit Fenstern, die sich übereinander öffnen konnten. Und er hatte eine Maus.

Uns war klar, dass in der Zukunft jeder Computer in der Welt so sein würde“, das sagte Steve Jobs Jahre später. Und Andy Hertzfeld sagt: „Apple will nicht das finanziell einträglichste Produkt machen oder das technisch beeindruckendste. Es soll die großartigste Sache an und für sich sein, einfach Perfektion.“

Der Mac wurde am 22. Januar 1984 vorgestellt, in einem 30-sekündigen Werbespot während der Super Bowl; der Spot war von Hollywood-Regisseur Ridley Scott gedreht worden. Zu sehen sind endlose Reihen von Arbeitern, eine lustfreie Armee, und ein Wesen wie „Big Brother“ aus George Orwells Endzeitroman „1984“ peitscht sie voran; die Armee ist IBM, damals noch ein Gegner für Apple. Eine junge Frau stürmt ins Bild, verfolgt wird sie von bewaffneten Polizisten, sie zerschmettert Big Brother und befreit die versklavte Menge. Die Frau ist Apple. Eine Stimme verkündet: „Am 24. Januar stellt Apple Computer den Macintosh vor. Und Sie werden sehen, warum 1984 nicht wie ,1984‘ sein wird.“

Fast 80 Millionen Fernsehzuschauer sind fasziniert, und sie sind verwirrt. Dieser Spot gilt unter Werbeexperten als vielleicht bester aller Zeiten, er macht so gut wie alle Werber zu Apple-Jüngern, was sie bleiben werden, durch all die Jahre.

Apple ist gelungen, was die meisten großen Unternehmen immer nur versuchen: Produkte aufzuladen mit Emotionen, sie zu überhöhen mit Werten, bis die Produkte zu Werten werden – Apple verführt. Wer einen Mac kauft, ist jung und kreativ und revolutionär, also cool. „Think different“, das wird später der Apple-Slogan, und wer will das nicht: anders denken?

Dies unterscheidet Apple von anderen Weltmarken, von Coca-Cola etwa oder von Adidas. Ein Turnschuh mag Mode werden, dann hat er für eine Weile Erfolg, aber ein Turnschuh bleibt er doch. „Apple ist angetrieben von künstlerischen Werten, das ist die Essenz des Unternehmens“, sagt Hertzfeld. „Bei welcher anderen Firma ist das noch so?“

III. Der Künstler

Es ist ein Haus wie ein Apple-Computer. Weiß, weit, warm. Draußen gibt es Olivenbäume und Palmen, drinnen weiße Wände und Chrom, einen Flügel, chinesische Teegedecke, Meissener Porzellan.

Ins Haus führt ein Mann, der weiß, wie man sich kleidet und bewegt, auch wenn er inzwischen erhöht sitzen muss, wegen der neuen Hüfte. Der Mann trägt Jeans, ein blaues, besticktes Hemd, Bart trägt er, die grauen Haare strubbelig. Er macht Insalata Caprese, Pesto-Spaghetti, „erst essen, dann reden“, sagt er. Schließlich, beim Espresso: „Und jetzt? What do you want to know?“

Hartmut Esslinger mischt deutsche mit englischen Sätzen, er lebt seit Jahrzehnten in Kalifornien. Auch Esslinger ist der Größte seiner Welt, er ist Designer. Esslinger gründete 1969 Frog Design, in einer Garage, in Altensteig, Schwarzwald.

Design ist nicht Verpackung. Design ist eine Art zu denken, Design macht sich Gedanken um das ganze Produkt“, sagte einst Hartmut Esslinger. „Design ist nicht nur, wie etwas aussieht und wie es sich anfühlt. Design ist, wie etwas funktioniert“, sagte ein paar Tage später Steve Jobs. „Manchmal hört Steve sich etwas an, dann präsentiert er es als seine These“, sagt heute Hartmut Esslinger, er lacht, er schätzt Jobs, vor allem seine Kühnheit.

In den Siebzigern verpackte Esslinger die TV-Apparate der deutschen Firma Wega in spektakuläre Kunststoffgehäuse. Sony kaufte Wega, und dann kaufte Sony Hartmut Esslinger. In den Jahrzehnten danach hat er für Sony Fernseher gestaltet, das Lufthansa-Design überarbeitet, das fliegende Windows-Fenster gestaltet, und in all den Jahren fragte er sich, warum Computer so hässlich waren.

Computer sahen aus wie Feinde. Wie Werkzeuge, für Männer, ausschließlich, Esslinger sagt: „Alle dachten über neue Prozessoren nach, immer kleinere Chips, niemand über Design. Niemand fragte sich, warum Büros wie Gefängnisse wirkten, warum kein Mensch diese grauen Dinger zu Hause haben wollte. All die Kabel. Den Lärm. Alle Manager taten, was eben alle Manager taten. Mut ist, Neues zu wagen. Mut ist, sich den kindlichen Glauben an die Möglichkeit von Perfektion zu bewahren.“

Jobs rief Esslinger an, weil er ein Design für eine grafische Benutzeroberfläche haben wollte, aber Esslinger glaubt, „dass Menschen manchmal noch nicht wissen, was sie wollen“. Er glaubt auch, dass „gutes Design die exakte Balance zwischen Provokation und Vertrautheit oder zwischen absurd und langweilig“ finden müsse. Darum schlug er Jobs etwas anderes vor: weiße Computer. „Kalifornisch weiß“, so nannte er es. „Die Computer-Industrie hat nie begriffen, dass Menschen eine emotionale Beziehung zu Dingen entwickeln“, sagte er. Diesen Satz sagte dann natürlich auch Jobs, wörtlich, in einer Konferenz, Tage später.

Be insanely great“ – „Seid wahnsinnig großartig“, das war Jobs’ Befehl. Und die Frog-Leute bauten Prototypen, Künstler und Ingenieure im ständigen Austausch, und Jobs ließ sie bauen. 200 000 Dollar bekam Frog pro Monat, viel Geld für etwas, das niemand ernst nahm im konservativen Silicon Valley.

25 Jahre später preisen Designer und Werber keine andere Kooperation so sehr wie jene zwischen Esslinger und Jobs. „Verstehen, was Menschen brauchen. Dinge entwickeln, die das Leben einfacher und zusätzlich Freude machen. Das ist das Apple-Geheimnis“, so nennt es Suze Barrett, Kreativ-Direktorin der Werbeagentur Scholz & Friends in Hamburg. Während die anderen Computer-Unternehmen technisch getrieben waren, „setzte Apple auf das für Menschen Nachvollziehbare und Nützliche. So wurden Apple-Produkte Symbol eines neuen Lebensstils, des ,digital lifestyle‘, in dem Design die wesentliche Rolle spielt“, sagt Barrett.

Einfach und funktional sahen die Geräte aus. Das war durchaus geklaut, von Braun-Taschenrechnern beispielsweise, aber Apple-Produkte wurden, was Werber „Must-have-Produkte“ nennen.

Das „i“, das die wesentlichen Apple-Produkte ziert, stand einst für „Internet“ und steht heute für „ich“. Es geht um Selbstverwirklichung oder die Illusion derselben. „Muss etwas unbrauchbar sein, wenn es Kunst ist? Kann keine Kunst sein, was benutzbar ist?“, fragt Esslinger, der jetzt Professor in Wien ist und Bücher verfasst, „Sehen ist Glauben, Glauben ist Sehen“, solche Sätze schreibt er hinein.

Esslinger legt nun ein iPhone und ein BlackBerry auf den Tisch. Er sagt: „Sehen Sie, was ich meine? Die Kurven, all die Knöpfe, das eine fügt sich nicht zum anderen, hier ist eine Biegung, dort eine Gerade, das ist schlampig, was soll das?“ Er schiebt das BlackBerry weg, angeekelt.

Das iPhone streichelt er wortlos.

2007 brachte Apple sein Mobiltelefon auf den Markt, wieder war es ein fremder Markt für eine in ihren Märkten längst etablierte Firma. Das iPhone folgt den gleichen Ideen wie der iPod, es ist schlank und simpler als alle sogenannten Smart-Phones, die zuvor auf dem Markt waren. Es liegt gut in der Hand. Es soll ein Produkt sein, das wir nicht brauchen. Wir sollen es begehren. Also doch brauchen. Brauchen wollen.

Das iPhone hat wenige Tasten, es hat einen berührungsempfindlichen Bildschirm, man kann damit im Internet surfen wie auf einem PC. 185 000 verschiedene Applikationen, kurz „Apps“, gibt es, erfunden von Software-Entwicklern rund um die Welt und verkauft über den Apple iTunes Store, demnächst mit Werbung bespielt über Apples Plattform iAd.

Den ersten Esslinger-Rechner, den Apple IIc, präsentierten sie damals in Jobs’ Büro in Cupertino. 25 Modelle, alle weiß. Jobs sah nicht beglückt aus. „O Hilfe, ich hoffe, dass es funktioniert“, sagte er, „ich bin nicht überzeugt.“ Am ersten Tag verkaufte Apple 50 000 Exemplare, es war der 24. April 1984. Heute steht der Apple IIc im Whitney Museum of American Art in New York City.

IV. Der Feind

Aber Jobs war nie der Unfehlbare, als der er verehrt wird. Er war auch nicht immer der „beste Vorstandsvorsitzende der Welt“, wie ihn Google-Chef Eric Schmidt nennt. Er war für eine Weile nicht einmal Vorstandsvorsitzender.

Nach dem Börsengang von 1980 und dem Beginn der Expansion will der Apple-Verwaltungsrat einen erfahrenen Manager als Chef installieren, einen, der den schwierigen Jobs beaufsichtigen soll, ihm vormachen soll, wie man ein globales Unternehmen auch führen kann: seriös.

Jobs wehrt sich nicht, aber er möchte bei der Auswahl mitreden, und er will nur einen Mann: John Sculley, Chef von Pepsi-Cola, Marketing-Experte und ahnungslos, was Computer angeht. 18 Monate lang umwirbt er Sculley, schließlich sagt Jobs: „Willst du den Rest deines Lebens Zuckerwasser verkaufen, oder willst du eine Chance, die Welt zu verändern?“

Sculley sagt zu. Und Jobs mag Sculley, sie gehen wandern in den Hügeln Nordkaliforniens. Die Presse nennt sie „das dynamische Duo“. Aber nach zwei Jahren überwerfen sich Sculley und Jobs, weil es zum Showdown kommt: Wer hat die Macht, Gründer oder Manager, der Visionär oder der Solide? Der Verwaltungsrat entscheidet sich für Sculley. Im Herbst 1985 verlässt Jobs Apple, sein Baby, sein Leben.

Sculley bleibt. Für acht Jahre noch.

Ich glaube, es war ein riesiger Fehler, mich als Vorstandschef einzustellen“, sagt Sculley Anfang 2010. Er sitzt an einem schweren Konferenztisch in New York City, hinter ihm die Fenster zum Central Park. „Der Verwaltungsrat hätte Steve zum Chef machen sollen“, sagt Sculley.

Warum sagt er so was? Welcher Vorstandsvorsitzende redet die eigenen Leistungen klein? Müsste er nicht darüber reden, wie das Unternehmen unter ihm wuchs, von 600 Millionen Dollar Umsatz auf acht Milliarden? „Man hätte mich einfach das Marketing machen lassen sollen, einen Vorstandsposten oder so“, sagt Sculley, „dann wären Steve und ich niemals auseinandergegangen.“

Jobs hat nie wieder mit Sculley geredet. „Ich glaube, er wird mir nie vergeben, und

ich verstehe ihn“, sagt Sculley. Er sieht müde aus, wie er da über den Straßen Manhattans sitzt, er ist 71, Partner einer Private-Equity-Firma, hat ein Anwesen in Palm Beach, aber nach all den Jahren leidet er unter dem Liebesentzug durch Steve Jobs.

Er selbst sei leider nicht talentiert genug gewesen, „um so wie Steve Produkte bauen oder in die Zukunft sehen zu können“, sagt Sculley. 1993 muss auch er Apple verlassen. Das Unternehmen ist in einer Sackgasse, ideenlos und führungslos und darum chancenlos gegen den neuen Star der Computer-Welt: Microsoft.

Zum Glück ist Steve wieder da“, sagt Sculley schließlich, Anfang 2010.

Was ein Genie ausmache, sagt Sculley, sei die Fähigkeit, 20 Jahre vor allen anderen zu erkennen, was in ferner Zukunft Standard sein werde. „Und genau das kann Steve, er hat es mit dem iPod bewiesen, er hat es mit dem iPhone bewiesen, warum sollte er es jetzt nicht auch mit anderen Branchen machen?“

Und es stimmt ja, die wahre Kunst des Steve Jobs ist es, Bedürfnisse zu erkennen oder das Potential unausgereifter Ideen und daraus perfekte Produkte zu formen.

Das war so, als er Wozniaks Prototypen eines Personal Computers sah. Apple wurde zum einflussreichsten Computer-Hersteller der Welt.

Das war wieder so, als die Musikindustrie keine Mittel fand gegen illegale Tauschbörsen; Apple wurde zum größten Online-Musikhändler der Welt.

Und als die Mobilfunkbranche es nicht schaffte, ihre Kunden im großen Stil dazu zu bringen, mit dem Handy im Internet zu surfen, kam das iPhone auf den Markt, und längst ist der Einfluss von Apple groß, so groß, dass Konzerne wie die Deutsche Telekom oder AT&T sich die Preise diktieren lassen, große Teile ihrer Einnahmen abtreten müssen und schüchtern erklären, auf keinen Fall etwas Böses über Apple sagen zu können.

Derart groß ist der Einfluss, dass bei der Präsentation des iPhone in Deutschland nur Jobs die Bühne gehören durfte und Telekom-Chef René Obermann nur zusah.

Auch die Musikindustrie ist wütend, aber nur inoffiziell. Die Plattenkonzerne fühlen sich nicht wohl, aber wehrlos im Würgegriff eines Konzerns, der bestimmt, wie viel ihr Produkt, ihre Musik kosten darf. Die Aufgabe aller Kontrolle ist der Preis, der für eine Rettung durch Steve Jobs zu zahlen ist.

V. Die Männerversteherin

Steve ist wie alle Genies“, sagt Pam Kerwin, „wer sagt denn, dass Mozart ein guter Mensch war?“ Sie lacht. Und dann sagt sie: „Ja, er kann rau oder geringschätzig sein, aber er ist ein Visionär. Und andere Manager wollen Geld, Macht, aber er wird von der großen Idee getrieben. Er hat die Fähigkeit, herausragende Technologie zu gebären, und es geht ihm nie um kleine Schritte – er will, dass das, was er macht, einen massiven Einfluss auf die ganze Welt hat.“

Als Pamela Kerwin und Steve Jobs sich zum ersten Mal begegneten, 1989, war sie Vizepräsidentin bei Pixar und Jobs ein Mann ohne Ziel, ein trauriger Mann? „Ja. Er ist ein Hardware-Typ, wir waren der falsche Laden für ihn.“

Ein Aufgeber? „Machen Sie Witze?“

Dann erzählt sie: „Vielleicht ist er als Kleinkind auf den Kopf gefallen, und dadurch wurden Gegenden seines Gehirns aktiviert, die bei uns anderen schlafen. Er fühlt, was Leute wollen. Er fühlt nicht, was cool ist, er fühlt, was cool sein wird. Dann hetzt er Leute, motiviert Leute, und manche gehen, aber die Besten bleiben. Er bringt die Besten dazu, das Bestmögliche zu leisten, weniger würde er nicht annehmen. Und er ist gnadenlos kompromisslos. Sehen Sie sich das iPhone an: Wie viele Leute sagten, es braucht mehr Knöpfe, es braucht eine Batterie, die man wechseln kann? Alle sagten das. Aber er denkt: Nein, das ist nicht verbraucherfreundlich. Und natürlich hatte er all diese Klarheit auch damals.“

Pamela Kerwin ist eine der wenigen Frauen aus dem Zentrum der Jobs-Welt. Sie ist auch eine der wenigen Figuren, die in dieser Welt fähig sind, Jobs reflektiert zu betrachten. Und sagen, was sie über Jobs denken. Ohne in Schockstarre zu verfallen. Ohne diese Angst vor dem Entzug von Wärme, die selbst jene noch treibt, die seit Jahrzehnten bestenfalls Missachtung durch den erlebt haben, auf den sie ihr Denken ausrichten.

Viele der Gestürzten sind noch Jahre später demütig. Vielleicht wollten sie nie viel mehr vom Leben, als von Jobs beim Vornamen genannt zu werden. Oder von Jobs angeschrien zu werden.

Dass er dich anhört, dir „face time“ gibt, ist Zeichen der Bedeutung deiner Aufgabe. Die iTunes-Store-Leute, jene, die den interaktiven Laden für Musik und Filme aufbauten, bekamen vor rund fünf Jahren eine Menge „face time“. Im Moment sind die iPad-Jungs und -Mädchen modern.

Dass er dich anschreit, bedeutet, dass er sich ernsthaft sorgt.

Dass er dich beim Vornamen anspricht, dass du „Steve“ zu Mister Jobs sagen darfst, ist Ausdruck deiner Bedeutung.

Es geht ganz schön infantil zu im Apfelreich. Eine Frau wie Pam Kerwin wirkt da bisweilen wie die einzige Erwachsene.

Vielleicht liegt das daran, dass sie nie bei Apple war, Kerwin ist eine Pixar-Frau, Jobs hat ihren Laden 1986 übernommen und dann umgekrempelt. Vielleicht liegt es daran, dass sie Lehrerin an der Ostküste war, Spezialistin für digitales Lernen, Computer-Labore, ehe sie 1989 ins Silicon Valley kam. Sie ist blond, trägt Brille und einen schwarzen Pullover, sie sitzt im Kellerbüro ihres Hauses in Mill Valley, Kalifornien, weiß sind die Wände.

Pixar, Ende der siebziger Jahre als Sparte von George Lucas’ Filmimperium gegründet, war noch nicht eines der erfolgreichsten Studios der Filmgeschichte, sondern eine von vielen hundert Start-up-Firmen in Kalifornien. Es gab eine Idee, eine Handvoll begabter Leute, Partys, Bierfässer, Affären und viel Arbeit. The grand old times. Es gab diese Unsicherheit: Schaffen wir es zu überleben?

Es ist nicht einfach, dreidimensionale Bilder zu gestalten. Pixar konnte das, Jobs sah es. „Das ganze Silicon Valley sagte damals, dass er bei Pixar sein Geld versenken würde, er sah etwas, was niemand sonst sah. Ich denke, man könnte das Mut nennen“, sagt Kerwin. Jobs gab George Lucas fünf Millionen Dollar, fünf weitere steckte er in die Firma, und für die jungen Leute von Pixar begann eine Reise.

Jobs stellte Kreative ein, vor allem aber Leute „mit ausgeprägter linker Hirnhälfte“ (Kerwin), Strategen. Jobs verstand nicht wirklich, wie die Software funktionierte, „letztlich begriff er nicht, was wir taten“, sagt Kerwin, „wahrscheinlich schützte uns das vor ihm“. Klar, er schrie. Ja, er strafte. Er war launisch. Aber er ließ John Lasseter, den Mann für die Phantasie bei Pixar, machen und kümmerte sich um das, was er konnte.

Er verkaufte Pixar-Dienste an Disney. „Er konnte mit den Haien schwimmen, wir konnten es nicht“, sagt Kerwin, „für alles, was er zu verkaufen hatte, wollte Steve zehn Millionen Dollar, immer zehn Millionen, auch wenn es keine zehn Millionen wert war.“ Er zerstörte die Arbeit von Monaten. Es geschah bei Verhandlungen mit Leuten von Intel, kurz vor der Unterschrift, dass Jobs schlechte Laune hatte; Jobs pöbelte, die Intel-Leute gingen gekränkt.

Pam Kerwin sagt: „Er ist nicht besonders gut darin, Geschäfte mit anderen bedeutenden Managern zu machen, weil dann Ego gegen Ego steht, und Steve geht niemals auch nur einen Schritt zurück. Doch wenn er in Jeans und schwarzem Pullover Produkte an Kunden verkauft, wie ein Messias bei diesen Präsentationen, dann ist er ein brillanter Mann der Show. Dann stört ein großes Ego nicht. Ein Showmaster braucht ein großes Ego.“

Er veränderte die Richtung der Firma Pixar: Bewegte Bilder wurden zu Kurzfilmen wurden zu Kinofilmen. Das Drehbuch zu „Toy Story“ entstand, Jobs bereitete den Börsengang vor. „Das ganze Silicon Valley sagte damals, dass das nicht funktionieren könne, dass eine Firma, die noch keinen Dollar Gewinn gemacht habe, an die Börse geht“, sagt Kerwin. Es ging. „Toy Story“ kam heraus. Viele Jahre später folgte „Findet Nemo“. Der Kindergarten Pixar ist ein Konzern geworden, und die, die mit Jobs auf die Reise gingen, wurden Millionäre.

Und Jobs lernte. Er saugte auf, zerlegte, setzte neu zusammen, dachte weiter. Es waren die Pixar-Ideen, mit denen er zu Apple zurückkehrte. Bewegte Bilder. Vernetzung von Kommunikationsformen. Massenmedien.

Ein Musikliebhaber und Ingenieur namens Tony Fadell, kein Apple-Mann, trug später Jobs die Idee an, aus der iPod und

iTunes werden sollten – und die den Wendepunkt bringen würde; bei Pixar aber verstand Jobs, was möglich war. In seinem Kopf entstand ein virtueller Laden, in dem man Filme und Musik kaufen kann, in seinem Kopf entwickelten sich intelligente Telefone und Computerchen, mit denen Musik und Filme zu nutzen sein würden. Das alles würde klar und gerade aussehen und simpel zu bedienen sein. Pixar-Leute sagen, dass etwas Seltenes geschah: Jobs lächelte, als er in seinen Porsche stieg und wieder hinüber zu Apple fuhr.

Denn 1996 wurde er mitsamt seiner Firma NeXT eingekauft und zurückgeholt. Apple war ein Konzern ohne Richtung geworden und zeigte das öffentlich: Viele Leute sagten viele widersprüchliche Sätze, Apple hatte viele Stimmen und darum keine mehr; Jobs registrierte es, dies war der Ursprung einer mittlerweile sagenumwobenen Geheimnistuerei.

Steve wollte die Stimmen so lange reduzieren, bis nur noch einer für Apple sprach: Steve“, sagt einer, der iTunes mitentwickelt hat. Jeder Apfelmann unterschreibt Schweigeklauseln, sie gelten auch Jahre nach einer Kündigung noch; und dass Jobs es ernst meint, hat er bewiesen, Prozesse hat Apple gewonnen. Sogar Publikationen sind den Apple-Leuten verboten. Ihren Freundinnen dürfen sie nicht sagen, woran sie arbeiten, was dadurch erleichtert wird, dass sie es selbst nicht wissen: Jedes Produkt und jeder Bereich eines Produkts haben einen Code, Zahlen und Buchstaben, selbst die wichtigsten Ingenieure kennen nur den Code, und selbst wenn das Produkt fertig ist, kennen die, die es gebaut haben, zwar den Bauplan, aber nicht das Design.

Der Campus in Cupertino: ein Hochsicherheitstrakt. Alle hier haben nur die Code-Karte für jenen Bau, in dem sie gerade arbeiten, schon das nächste Gebäude ist unerreichbar für alle, nur für Steve Jobs nicht, der nie eine Karte bei sich trägt, und wenn ihn ein Pförtner nicht durchlässt, dann fliegt der Pförtner raus.

Die Medienpolitik: purer Kontrollwahn. Apple spricht mit wenigen, die nicht auf einer Liste von erwiesenermaßen freundlichen Kritikern stehen. Mag sein, dass dies den Mythos vergrößert, wie Jobs glaubt, den „Buzz“, diese weltweite Gier nach Gerüchten, das Flüstern und Rauschen, das beginnt, wenn nur ein Ingenieur ein neues iPhone in einer Kneipe liegen lässt. Möglich auch, dass Apple-Jünger die manische Verschlossenheit für Stärke halten, aber kann das wirklich klug sein, Anfragen von Kunden, Lieferanten, Politikern und Medien der Welt nicht mal mit Formbriefen zu beantworten?

Es gibt Tausende Firmen auf der Welt, die mobile Applikationen entwickeln wollen – und wenn Apple mal eben beschließt, dass nur noch eine bestimmte Software dafür benutzt werden darf, dann entzieht Jobs Dutzenden der Nerds von heute die Grundlagen. Ist Apple nicht längst, was einst IBM war? Wer wird in der nächsten Krise an der Seite einer Firma wie dieser stehen? Trifft Selbstherrlichkeit nicht immer den Selbstherrlichen, irgendwann?

Und wäre ein Konzern wie dieser nicht noch stärker, wenn er im Innern wie nach außen halbwegs reif kommunizierte, so richtig erwachsen, mit Zuhören und Antworten? Oder wenn er die Kunden ernst nehmen würde?

Zu Weihnachten 2008 gingen Rund-Mails in die Welt, in denen Apple darum bat, „ganz schnell zu bestellen, damit alle Lieferungen pünktlich zur Bescherung ankommen“; dabei war klar, dass, etwa bei deutschen Kindern, die Lieferungen nicht mehr pünktlich ankommen konnten, die Lagerarbeiter wussten das, so gut wie alle bei Apple wussten das. Nach Weihnachten gab es Tausende Kundenproteste, niemand antwortete.

Und wer, beispielsweise, ein älteres Mac-Modell besitzt und aus digitalen Fotos gedruckte Alben machen möchte, landet in einer Falle, von der die Firma natürlich ebenfalls weiß. Die Falle bringt Geld: Der Rechner erstellt das Album, was 20 Minuten dauern kann; dann sagt der Rechner, dass er eine neue Programmversion benötige, iLife, 80 Dollar teuer; und wer nun iLife bestellt und erhält und schließlich installieren will, erfährt nach dem letzten Klick: iLife kann auf diesem Rechner leider nicht installiert werden.“

Der Umtausch ist ausgeschlossen.

Aber ist so etwas noch wichtig für einen wie Jobs?

Als er wieder anfing bei Apple, heuerte er Ken Segall an, Kreativ-Direktor der Werbeagentur TBWA, er erzählte Segall, „wie die Welt Apple vergessen hat und wie es jetzt als Erstes darum geht, den Geist des Unternehmens wieder unter die Menschen zu bringen“, so erzählt es Segall im Frühjahr 2010.

Drei Monate später laufen die Fernsehspots, sie zeigen Albert Einstein und Martin Luther King, die angeblich das Gleiche verkörpern wie Apple. Dazu der Slogan: „Think different“.

Steve sagte nur: ,Wir müssen die alten Fesseln abwerfen‘, und war sich so sicher, dass er darauf das ganze Unternehmen verwettet hätte“, sagt Segall. „Wenn Steve etwas wirklich will, ist er gnadenlos, absolut unnachgiebig.“

Im August 1998 kommt der iMac auf den Markt, das Echo ist riesig, die Verkaufszahlen sind gut, aber viel wichtiger: Die Fan-Gemeinde lässt sich hinreißen. Der Apple-Kult lebt wieder, die Kommunikationsidee „Think different“ macht die Kunden zu Verbündeten, zu Rebellen gegen den Mainstream, gegen Microsoft und für die eigene Individualität.

Das ist das Image, und es ist gelogen. Steve Jobs ist kein Rebell mehr: Es geht um Monopole, Marktbeherrschung, nach der Revolution kommt immer der nächste Herrscher.

Er ist auch nicht wirklich ein milder Mensch, nach allem, was zu erfahren ist. Er hasst Bill Gates. Er war krank, vielleicht ist er es noch, und er hasst die eigenen jungen, gesunden Angestellten,

das jedenfalls erzählen junge, gesunde Apple-Leute.

Seine leiblichen Eltern sind der syrische Politologe Abdulfattah Jandali und die Amerikanerin Joanne Schieble; Paul und Clara Jobs adoptierten ihn, in Mountain View und Los Altos an der Pazifikküste wuchs er auf. Steven Paul Jobs war etwa 30 Jahre alt, als er die Wahrheit erfuhr. Er begann, seine leibliche Schwester Mona zu suchen, fand sie, sie wurden Freunde. Dann schrieb Mona einen Roman, „A Regular Guy“, sie erzählt von einem Multimillionär, der „zu beschäftigt war, die Toilette zu spülen“, der seinen Ex-Freundinnen Häuser schenkte, damit sie schwiegen, ein Narziss, der verlangte, dass seine Geliebten Jungfrauen zu sein hatten. Steve? Es wurde nie dementiert.

Der wahre Jobs war der Liebhaber ?

der Folksängerin Joan Baez. Er erzählte, dass er „junge, superintelligente, künstlerische Frauen“ schätze. 1977 zeugte Jobs eine Tochter, Lisa, mit seiner damaligen Freundin Chris-Ann, aber von Chris-Ann trennte er sich, und dann verweigerte er die Anerkennung der Vaterschaft. Chris-Ann und Lisa lebten von Sozialhilfe, bis Jobs vom Staat auf Anerkennung der Vaterschaft verklagt wurde. In einem unterschriebenen Dokument gab Jobs an, er sei steril und unfruchtbar und deswegen physisch nicht in der Lage, ein Kind zu zeugen. Das Gericht zwang ihn zu einem Bluttest, der ihn als Vater bestimmte; lange verweigerte er Unterhaltszahlungen, schließlich schickte er 385 Dollar im Monat.

1991 heiratete er Laurene Powell, die beiden haben drei Kinder.

Ein ausgeglichenes Leben? Kann ein Mann, der diese Karriere hinter sich hat, noch zweifeln? An sich?

Vor etwa zehn Jahren war Apple 5 Milliarden Dollar wert, heute sind es über 240 Milliarden. Jobs trifft sich mit Bono, dem Sänger, und 2006 bezahlte Disney 7,4 Milliarden Dollar in Aktien für Pixar, Pamela Kerwins einstige Klitsche.

VI. Die Soldaten

Die Apple-Kultur ist konfrontativ und direkt, laut und schroff ist der Umgang, „a yelling culture“, so sagt es ein junger Programmierer, ein Star der Firma.

Es gibt zwei wesentliche Stränge bei Apple, Programmierer und Ingenieure hier und dort das Management. Man trägt Jeans und T-Shirt, und organisiert ist das Reich der 34 000 Angestellten in Teams, Gruppen von manchmal 4 und manchmal 25 Leuten, und über die Teams herrschen die Team-Leiter. Dann kommen die Direktoren, die Vizepräsidenten, die Executive Vice Presidents, und in einem kleinen Paralleluniversum gibt es den Verwaltungsrat und die wenigen Kunden und Vertragspartner, die stark genug sind, Wünsche äußern zu dürfen. Und über allen thront Jobs.

Es ist viele Jahre her, da machte Steve Jobs ein Wort populär: „awesome“. Es heißt „erstaunlich“ oder „grandios“. Heute sagt jeder amerikanische Teenager „awesome“, es ist ein Massenwort geworden, billig, ein bisschen eklig. Kann so etwas auch mit den Apple-Produkten geschehen?

Natürlich kann es“, sagt der junge Programmierer Michael More (Name geändert), „in Jahren des Rausches scheint es unvorstellbar, aber wenn wir zwei Misserfolge haben und wenn Steve stirbt, kann es ganz schnell gehen.“

Michael More weiß, wie der iPod entstand, iTunes, das iPhone. Apple-Leute verlassen die Firma nicht; sie wechseln vertikal, von Team zu Team. More ist noch jung, aber schon eine Weile dabei, ein bisschen dick, ein bisschen blass, ein bisschen langhaarig und sehr, sehr gut.

Er sitzt in einem Café in San Francisco. Er sagt, dass auf gar keinen Fall klar werden würde, dass er über Apple gesprochen habe: „Wer die Schweigeklausel bricht, fliegt raus. Kommt auf die schwarze Liste. Wird nie wieder eingestellt werden. Und gegen die Apple-Anwälte kannst du nicht gewinnen.“ Die Firma, die der junge Programmierer beschreibt, ist ungerecht, brutal, manchmal ziellos, dann wieder scharfsinnig, straff, zugleich kreativ und phantasiegetrieben.

Nie sprach Steve Jobs mit dem Programmierer, nie auch mit dessen Chef. Was niemand bei Apple will, ist eine Begegnung mit Jobs im Fahrstuhl, denn dort stellt Jobs Fragen: Wer bist du, woran arbeitest du, warum brauchen wir das? Und beim Aussteigen sagt er: „Nein, das brauchen wir nicht mehr.“

Immer arbeiten einige Teams im Scheinwerferlicht, also unter Jobs’ Augen, diese Teams bekommen alle Mittel, alles Geld, alle Zugänge der Welt. Aber die Scheinwerfer wandern über den Campus. Das bedeutet eine rege Hauspolitik, viel Gerede, jeder will die Aufmerksamkeit von irgendwem, und alle wollen seine, Jobs’, Aufmerksamkeit, aber Jobs will Ergebnisse, nichts als das Ergebnis interessiert ihn wirklich. Als beste Manager, reine Helden gelten bei Apple jene, die Jobs besonders oft anbrüllt – und die ihre Untergebenen trotzdem ruhig ansprechen.

Einer, der lange dabei war, so lange, bis er gefeuert wurde, ist David Sobotta, und der sagt, dass die Unsicherheit „systemimmanent“ sei. Sobotta verkaufte, was in Cupertino entworfen wurde, die Armee, die Nasa und die Universitäten waren seine Kunden. Heute lebt er in Roanoke, Virginia, hoch oben auf dem Berg, weit der Blick. „Es zieht sich durch die Firma“, sagt Sobotta: „Keiner will etwas entscheiden, weil eine Entscheidung bedeutet, dass Steve sauer werden kann. Es gibt viel totes Fleisch bei Apple.“

Dead meat“, das ist amerikanischer Zynismus, Leute sind gemeint, die genauso gut arbeitslos sein könnten, niemand würde es bemerken.

Sobotta hat die grauen Haare über den Schädel gelegt, er hat enorme Ohrläppchen, er sagt, dass es mal anders war, das waren die Jahre ohne Jobs: „Es gab die Golden Apple Sales Trips“, Reisen nach Paris, Sydney, Wien, für die oberen zehn Prozent, die erfolgreichsten Verkäufer. Mit dem neuen Chef wurde alles anders, besser einerseits, aber andererseits hieß der neue Chef wieder Steve Jobs. David Sobotta flog mit Generälen und Professoren nach Cupertino, und niemals gab es einen Termin, nie das Versprechen, dass Jobs wirklich zu sprechen sei, immer nur eine Andeutung. „Aber die Generäle flogen hin, jeder wollte Steve nahe sein“, so Sobotta. Und manchmal erschien Jobs, „in Shorts und Birkenstocks, unrasiert, und nie beantwortete er Fragen. Er redete immer über das Thema, über das er gerade reden wollte. Aber der Raum gehörte ihm. Immer“, sagt Sobotta.

Apple ist eine Meeting-Firma, ständig tagen sie dort, doch es wird nicht entschieden, denn dann geht Steve Jobs nach Hause. Er geht denken. Er hat gelernt, seinen Instinkten zu vertrauen, er hat seit Jahren nichts anderes gehört, als dass er ein Genie sei. Darum mag er heute Morgen duschen und ein Projekt beerdigen, das er gestern erst beschlossen hat. „Keiner weiß, was geschehen wird, bis zu dem Moment, wenn Steve die Bühne betritt und die Gläubigen anspricht“, sagt David Sobotta.

Dies sind die Momente des Ruhmes für die Apple-Armee. Um diese Momente geht es, denn die Soldaten verdienen natürlich gut, aber nicht überragend; sie bekommen ihren Sold plus Boni plus Aktien; sie sagen, dass das, was zähle, die Augenblicke in seinem Licht seien.

Steve Jobs nennt selten Namen, er sagt: „Dies ist das Team, das das iPhone entwickelt hat, eine Runde Applaus bitte.“

Sie stehen auf. Sie drehen sich. Jobs nickt und klatscht. Das ist alles, was sie wollen, diese fünf Sekunden, dafür haben sie ja seit drei Monaten 20 Stunden pro Tag gearbeitet.

Könnte Apple erfolgreicher sein, wenn anders geführt würde? Respektvoll, kommunikativ, modern gar?

Seit Steve Jobs 1997 zu Apple zurückkehrte, schraubte sich der jährliche Umsatz von gut 7 auf knapp 43 Milliarden Dollar hoch. Der Aktienkurs stieg von rund 5 auf über 260 Dollar. 2009 machte Apple einen Gewinn von 8,2 Milliarden Dollar, das sind bei 34 000 Angestellten gut 240 000 Dollar Gewinn pro Mitarbeiter.

34 Jahre nach seiner Gründung ist Apple kein Computer-Hersteller mehr. Es ist nicht so einfach zu sagen, was Apple ist, und noch etwas schwieriger zu erahnen, was Apple künftig sein will: ein Elektronikriese? Erfinder von Lifestyle-Produkten für das digitale Zeitalter?

Wie Musik konsumiert, produziert und verkauft wird, all das ist heute anders

als vor zehn Jahren. Zehntausende Musiktitel passen auf einen iPod, die komplette Musiksammlung, hosentaschengroß, immer abspielbereit. Konzerne gingen deswegen in die Knie, iTunes übernahm

die Macht, also Apple, nirgendwo wird mehr Musik verkauft als in diesem Online-Laden.

Der iPod wurde zu einem Phänomen, zur „lebensverändernden kulturellen Ikone“, wie „Newsweek“ drei Jahre nach dem Erscheinen schrieb; da hatte Apple erst gut drei Millionen iPods verkauft. In den vergangenen drei Geschäftsjahren waren es 160 Millionen.

Auf so etwas bauen nun, in Erwartung des iPads, Verlage und Medienunternehmen, die sich längst ein Wettrennen liefern, weil sie ihre Bücher und Magazine in elektronischer Form auf dem Gerät anbieten wollen, das Jobs natürlich „magisch“ und „revolutionär“ nennt.

Auch das iPad wird nicht einfach ein Geschenk werden für Zeitschriftenkonzerne, Zeitungshäuser und Fernsehkonzerne. Sie versprechen sich neue Leser und neue Zuschauer und vor allem endlich neue Einnahmen. Sie alle hoffen, dass sich auch im digitalen Zeitalter mit den alten Produkten Geld verdienen lässt. Zeitungen und Magazine bieten Apps für ihre Print-Ausgaben auf dem iPad an, mit Zusätzen wie auf ihren Online-Seiten: Videos, interaktive Grafiken. Es soll die Leser locken, endlich für die digitalen Ausgaben zu bezahlen, vielleicht mehr als für die Print-Ausgabe.

Die Anzeigenkunden lockt das alles schon, denn für sie bieten sich Möglichkeiten, Werbung lebendiger zu machen, interaktiv, mit eingebauten Videos etwa. 200 000 Dollar für eine Anzeige nimmt „Time“ für seine ersten iPad-Ausgaben.

Aber natürlich weiß Jobs das alles, es ist der Grund, warum er das iPad entwickelt hat, es ist der Versuch, diesmal gleich mehrere Branchen zugleich zu transformieren und an Apple zu binden. Apple wird mitbestimmen, wie ein Magazin aussehen muss, damit es auf dem iPad gelesen werden kann, und wie viel Geld die Verlage dafür nehmen.

Ist ein neuer Markt, der von Apple dominiert wird, nicht besser als kein Markt?

Es könnte sein, Jobs’ Konkurrenten jedenfalls sagen das, dass mit dem iPad der Schlusspunkt der Apple-Dominanz kommt, weil der Markt dann gesättigt sein wird; damit ginge das Apple-Jahrzehnt zu Ende, aber wahrscheinlich ist das nicht. Wahrscheinlicher ist, dass das kommende Apple-Jahrzehnt noch wuchtiger wird als das vergangene, weil die Firma den Unterhaltungsmarkt im Griff hat, wie niemand sonst, und sich ständig vermehrt, da sie sich ausbreitet in immer andere, neue Bereiche modernen Lebens.

Möglich ist auch, dass es noch eine Weile weiter nach oben geht und dann, ganz abrupt, die iWelt zusammenbricht. Wenn Steve Jobs zusammenbricht, endgültig. Und wenn klar wird, dass sein Laden nicht vorbereitet ist auf die Zeit nach Jobs.

Zum ersten Mal fehlte Jobs 2004, es war der Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Operation würde ihn retten, sagten die Ärzte, mindestens zehn Jahre würde er noch leben. Aber Jobs zögerte. Der Technikpapst traute der technischen Medizin nicht, Jobs, Zen-Buddhist und Vegetarier, bevorzugte alternative Methoden. Eine Diät. Die Kügelchen, zu denen seine Heilpraktiker rieten. Neun Monate lang verweigerte Jobs die Operation, und während dieser neun Monate diskutierte der Verwaltungsrat darüber, ob er die Aktionäre über die Krankheit und auch über die Behandlungsmethoden informieren müsse.

Aber der Verwaltungsrat besteht aus Leuten, die Steve Jobs verehren. Sie sagten nichts.

Am 31. Juli 2004 wurde Jobs operiert, am nächsten Tag schrieb er eine E-Mail an die Mitarbeiter: Er sei lebensbedrohlich krank gewesen, nun sei er geheilt.

Fünf Jahre später fehlte er wieder. Er brauchte eine neue Leber, und natürlich bekam er sie schnell. Von „einem jungen Mann in den Zwanzigern, der bei einem Autounfall gestorben war“, wie Jobs sagt. Mitte 2009 kehrte der Herrscher zurück in sein Reich, tat, als sei alles wie vorher; aber das stimmte nicht.

Es hatte sich wie das späte Rom angefühlt“, sagt einer, der in jenen Phasen dabei war. Kaum war Jobs fort, wurde klar, dass es keine stabilen Strukturen oder Regeln gab: nicht für die Produktentwicklung, nicht für die Kommunikation. Senkt Steve den Daumen, oder hebt er ihn? Das war das Einzige gewesen, was gezählt hatte.

Nun aber: „Der Kaiser war krank, und alle Senatoren bewaffneten ihre Privatarmeen und wollten die Macht“, sagt der Mann, der es wissen muss. Es gab Racheakte: Jene Leute, die von Jobs bei seinem Wiedereinstieg mitgebracht worden waren, waren nun, ohne Jobs, Freiwild und ausgeschlossen von allen Gesprächen, die wichtig waren. „Produkte wurden angekündigt und zurückgeholt, andere wurden vorschnell entwickelt und wieder abgeschossen, alles war Hauspolitik.“

Jobs fehlte, und Apple war eine verunsicherte Ansammlung junger Menschen.

Wenn die Firma ohne ihn weitermachen muss, so sagt es Andy Hertzfeld, der Software-Zauberer, dann werde sie zunächst besser werden, weil sie weniger launisch, daher geplanter handeln würde. Wünsche der Kunden würden berücksichtigt werden, Apple könnte womöglich wieder so etwas wie Demut lernen. Nach einer Weile aber, auch das sagt Hertzfeld, „wird dieser Antrieb fehlen, das bestmögliche Ding zu erschaffen“. Und Apple könnte eine Firma wie tausend andere Firmen sein.

Der Boss redet nicht gern über sich, normalerweise, von Schwächen sagt er sowieso nichts. Damals in Stanford aber, im heißen Juni 2005, als er im Stadion zu den Studenten sprach und eine Rede hielt, die wie ein Geständnis war, erzählte er schließlich seine dritte Geschichte, die Geschichte von Leben und Tod.

Als junger Mann habe er ein Zitat gelesen, sagte Jobs: „Wenn du jeden Tag lebst, als sei er dein letzter, wirst du irgendwann recht haben.“ Seither frage

er sich, ob er tue, was er tun wollte, falls heute sein letzter Tag sei, und falls die Antwort „nein“ sei, ändere er den Plan.

Er schluckte. Dann sagte Steve Jobs, dass er vor einem Jahr um 7.30 Uhr beim Arzt gewesen sei; die Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs, unheilbar, drei bis sechs Monate habe er noch, „bringen Sie Ihre persönliche Dinge in Ordnung“, hätten die Ärzte gesagt. „Ich lebte mit der Diagnose. Am selben Abend hatte ich noch eine Biopsie.“

Die Ärzte führten die Schläuche ein, entnahmen Tumorzellen, untersuchten sie, dann weinten die Ärzte. Eine Operation könne ihn wohl doch heilen, er sei eine seltene Ausnahme, sagten sie.

Gib es eine Moral? Es gibt immer eine Moral. „Eure Zeit ist begrenzt. Vergeudet sie nicht damit, das Leben eines anderen zu leben. Lasst euch nicht von Dogmen einengen – dem Resultat des Denkens anderer. Lasst den Lärm der Stimmen anderer nicht eure innere Stimme ersticken. Das Wichtigste: Folgt eurem Herzen und eurer Intuition, sie wissen bereits, was ihr wirklich werden wollt.“

Und schließlich sprach er ein Schlusswort: „Bleibt hungrig. Bleibt tollkühn.“

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Klaus Brinkbäumer


Klaus Brinkbäumer, geboren 1967, schreibt seit 1993 für den Spiegel, zur Zeit als Reporter in New York. Für seine Texte wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Egon-Erwin-Kisch- und dem Henri-Nannen-Preis. Brinkbäumer ist Verfasser und Co-Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschienen "Der Traum vom Leben. Eine afrikanische Odyssee" und der Roman "Unter dem Sand".

Thomas Schulz


Thomas Schulz ist USA-Wirtschaftskorrespondent für DER SPIEGEL in New York.
Dokumente
Der Philosoph des 21. Jahrhunderts

erschienen in:
Der Spiegel,
am 26.04.2010

 

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